Lehrstuhl für Komparatistik
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Goethe als Agens und Patiens des Konzepts ›Weltliteratur‹

Eine Forschungskooperation zwischen der Seoul National University und der Ludwig-Maximilians-Universität München

Workshop an der Seoul National University am 4.10.2008
(Koreanische Website zum Workshop)


Die gleichzeitigen Anfänge der Disziplin der Littérature comparée und des Konzepts der Weltliteratur lassen sich aus dem (überwiegend in ihren Zeitschriften Le Globe und Ueber Kunst und Alterthum geführten) intensiven Gedankenaustausch ihrer Begründer – Villemain, Ampère u.a. in Paris, Goethe in Weimar – und deren literaturkritischen wie naturwissenschaftlichen Orientierungen verständlich machen. Sowohl die Institutionalisierung einer grenzüberschreitenden Littérature comparée als auch Goethes Projekt der Weltliteratur als einer (tendenziell weltweiten) internationalen literarischen Kommunikation sind aber, prinzipieller gefasst, diskursanalytisch beschreibbare kulturelle Strategien im Hinblick auf die wirtschaftlichen, verkehrs- und kommunikationstechnischen, ja nicht zuletzt medialen Öffnungs- und Beschleunigungsprozesse nach dem Ende der Napoleonischen Ordnung Europas. Die Kehrseite dieser internationalen Kommunikation war allerdings die gegenseitige Abgrenzung und Selbstbehauptung der einzelnen Literaturen.

Goethe meinte mit dem von ihm geprägten Begriff der Weltliteratur nicht etwa einen unüberschaubaren oder aber qualitativ begrenzten Thesaurus literarischer Texte aus aller Herren Länder, sondern eine erst noch zu realisierende Form der internationalen literarischen Kommunikation: nämlich (wie er ein Vierteljahrhundert zuvor in seiner »Flüchtigen Übersicht über die Kunst in Deutschland« formuliert hatte) eine »allgemeine, freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden«, freilich »in steter Rücksicht auf das was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist« (Goethe 1985-99, I 18, 809). Daher hat Goethe selbst die von ihm prognostizierte Weltliteratur – wie nach ihm die Verfasser des Kommunistischen Manifests (Marx/Engels 1974, 466) – ganz nüchtern-prosaisch auf die »durchaus erleichterte Communication« (Goethe 1985-99, I 22, 427), die »sich immer vermehrende Schnelligkeit des Verkehrs« (ebd. 866) und die »immer mehr umgreifende Gewerks- und Handelsthätigkeit« (ebd. 868) zu Beginn des industriellen Zeitalters in Europa bezogen. Erst dadurch komme »der Geist nach und nach zu dem Verlangen, auch in den mehr oder weniger freyen geistigen Handelsverkehr mit aufgenommen zu werden« (ebd. 870).

Über diese historische Konstellation hinaus hat sich der Begriff der Weltliteratur dank seiner Unverzichtbarkeit für eine systematische Gegenstandsbestimmung der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft als einer ihrer Schlüsselbegriffe erwiesen. Die im Rahmen der DFG-Forschergruppe Anfänge (in) der Moderne untersuchte Frage nach den institutionellen Anfängen von ›Littérature comparée‹ und ›Weltliteratur‹ wird in diesem Forschungsprojekt im rahmen der Zusammenarbeit koreanischer und deutscher Dozenten und Doktoranden in Seoul und München an einem gegenwartsnahen und kulturpolitisch relevanten Gegenstandsbereich erprobt und erweitert.

Hierbei haben sich u.a. folgende Untersuchungsschwerpunkte herausgebildet: Unter welchen diskursiven, ökonomischen, politischen und medientechnischen Bedingungen vollzieht sich die Internationalisierung von Literatur und Literaturwissenschaft gegenwärtig in Korea und Deutschland? Wie ändern sich die Voraussetzungen, Implikationen und Rezeptionsweisen dieses Begriffs innerhalb der gesellschaftspolitischen Wandlungsprozesse der beiden Länder im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert? Welchen Stellenwert hat hierbei das zuletzt nicht nur in den postcolonial studies rekurrente Konzept der world literature? Welche Rolle spielen Goethe und seine Texte durch ihre Aufnahme in literarischer Produktion und Übersetzung als Agens und Patiens des Konzepts?

Die Wissenschaftler beider Partnerinstitutionen sind einschlägig durch Forschung und entsprechende Publikationen ausgewiesen; auf koreanischer Seite sind zu nennen: Prof. Dr. Sam-Huan Ahn, Prof. Dr. Young-Ae Chon, Prof. Dr. Ihmku Kim sowie Prof. Dr. Hong-Bae Lim. Auf deutscher Seite: Prof. Dr. Hendrik Birus, PD Dr. Sebastian Donat sowie Prof. Dr. Roger Lüdeke.