Lehrstuhl für Komparatistik
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3) Fragen zur Intertextualität

Was fällt Ihnen an der Beschreibung und Anrede der Geliebten in diesem Gedicht in Vergleich zu anderen Gedichten des Petrarkismus und sogenannten Antipetrarkismus auf? Sie könnten vergleichend etwa einen Blick werfen auf ein Gedicht, das Góngora nachahmt und überbietet, z. B. von Garcilaso „En tanto que de rosa y de azucena“, oder auf das berühmte Sonett von Shakespeare „My mistress eyes are nothing like the sun“.

Kommentar:

Unter ‚Petrarkismus’ versteht man die Nachahmung einer Gedichtsammlung von Francesco Petrarca, dem Canzoniere (1347). Die dort versammelten Liebesgedichte an Laura haben den vielleicht ersten großen europäischen literarische Trend ausgelöst: Zahlreiche Dichter in Italien, Spanien, Frankreich und England greifen die von Petrarca entworfene Liebessituation (ein Mann wirbt um eine schöne und unerreichbare Dame und beklagt sein Leid), Formen (insbesondere das Sonett) und eine spezifische Rhetorik auf (das Schwanken zwischen Glück und Leid prägt zahlreiche Paradoxa und Antithesen). Theoretisch steht damit die Frage im Raum, wie Texte aufeinander Bezug nehmen und gemeinsam interpretiert werden können (das kann man unter dem Stichwort der Intertextualität fassen), methodisch ist dringend ein Blick über einzelne Sprachgrenzen und Nationalphilologien hinaus nötig.
Während Garcilaso etwa die Schönheit der Dame mit der Natur vergleicht, überbietet bei Góngora die Schönheit der Dame die der Natur. Shakespeare dagegen konterkariert dieses topische Frauenlob. Dabei lenkt Shakespeares Gedicht auch die Aufmerksamkeit auf die Gender-Problematik des Petrarkismus: Es ist ein rein heterosexuelles Liebesmodell, laut dem Männer begehren und dichten und Frauen schön sind, sich zurückhalten und schweigen. Dieses Modell wird im Petrarkismus durchgespielt, aber auch vielfältig variiert und unterlaufen: etwa insofern eine Hingabe der Frau suggeriert wird (dazu fordert Góngora auf, andere machen das und somit einen sexuellen Inhalt explizit); Shakespeare konfrontiert das Frauenbild des Petrarkismus mit einem „realistischeren“ Bild des Körpers einer Frau und viele Dichterinnen des Petrarkismus, Louise Labé etwa, haben Wege gefunden, ihm eine weibliche literarische Sprecherposition einzuschreiben.