Lehrstuhl für Komparatistik
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3) Welche Grundannahmen zum Geschlechterverhältnis lassen sich in dieser Passage freilegen?

Eines hat sich ja bereits in den vorausgehenden Überlegungen gezeigt: Statt diese Ambivalenz der Sprache zu akzeptieren, nimmt sie Freud zum Anlass, seine Verlobte Martha Bernays im Stil eines Frauenerziehers zurechtzuweisen. Es ließe sich auch diskutieren, inwieweit Freud einen impliziten Zusammenhang herstellt zwischen den sprachlichen Koseformen und der vermeintlichen Natur des weiblichen Geschlechts: Er spricht etwa nicht nur von „zärtlichen Formen“, sondern auch vom „zarten Leib“ seiner Verlobten. Auch seine Bemerkung, dass sich an den „Schmeichelnamen“ im „Verkehre Liebender“ selbst dann nichts ändern würde, wenn die „völlige Gleichstellung“ zwischen Mann und Frau erlangt wäre, weist nicht nur darauf hin, dass dieser Zustand noch aussteht, sondern impliziert auch, dass Freud die „zärtlichen Formen“ trotz der von ihm zugestandenen Möglichkeit eines sich wandelnden Frauenbilds einer wesentlichen Weiblichkeit zuzuschreiben scheint. Die feministische Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen hat bereits 1979 in Die imaginierte Weiblichkeit gezeigt, wie seit dem 17. Jahrhundert gesellige Umgangsformen zwischen den Geschlechtern zumeist als „natürlich“ weiblich gedachten wurden, die der Mann insbesondere im Liebeswerben zwischen den Geschlechtern“ als eine „kulturelle“ Technik zu erlernen habe. Vor diesem Hintergrund ließe sich etwa Freuds Bemerkung befragen, dass ihm die zärtlichen Kosewörter „sonst zum Ekel wären“, wenn sie nicht zur gegenseitigen Versicherung in der Liebe dienen würden.