Lehrstuhl für Komparatistik
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3) Welche besonderen Herausforderungen bestehen bei der Übersetzung von La disparition?

Das Übersetzen literarischer Texte bewegt sich immer zwischen zwei Polen: Entweder bleiben die Übersetzer so nah wie möglich am Originaltext oder sie dichten die Geschichte frei nach. Während im ersten Fall dem übersetzten Text eine sprachliche Fremdheit anhaftet, fällt im zweiten Fall gar nicht auf, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Zwischen dieser Skylla und jener Charybdis muss jede Übersetzung hindurchsegeln. Bei der Übersetzung von La disparition kommt aber noch eine weitere Schwierigkeit hinzu. Der Übersetzer muss nicht nur die Geschichte und die charakteristische Ausdrucksweise übertragen, es wird von ihm auch gefordert, sich an die lipogrammatische Schreibmethode zu halten.

Der deutsche Übersetzer von La disparition, Eugen Helmlé, bezeichnet die lipogrammatische Beschränkung als ein „Sprachkorsett“, das bei der Übersetzungsarbeit zu einer „Zwangsjacke“ wird. Was im Französischen gut funktioniert, ist unter Umständen im Deutschen nicht möglich. So lässt sich für „nounou“ kein deutsches Äquivalent finden: ‚Kinderfrau‘, ‚Kindermädchen‘ ‚Tagesmutter‘ – jedes dieser Wörter beinhaltet mindestens ein ‚e‘. So übersetzt Helmlé ‚nounou‘ mit dem nur zu einem geringen Grad entsprechenden Wort ‚Mama‘. Das gleiche gilt auch für die Übersetzung des Rätsels, in dem „animal“ nicht mit ‚Tier‘, sondern mit „Ding“ übertragen ist. Eine immer wiederkehrende Schwierigkeit stellen die unbestimmten Artikel dar. Sie alle beinhalten ein oder zwei ‚e‘: ein, eine, einer, eines. Helmlé löst dieses Problem, indem er einen im Deutschen ungewöhnlich häufigen Gebrauch von Apostrophierungen macht: „n' Bubi, n' Bambino“, „so'n Ding“. Zudem improvisiert und umschreibt er auf sprachakrobatische Weise. So wird zum Beispiel: „Alors nous vivions dans la paix.“ übersetzt mit: „Damals wars im Land und im Palast noch schön ruhig, stabil und windstill.“ Zeichnet sich bereits der französische Originaltext durch ungewohnte Formulierungen aus, so potenziert sich bei der Übersetzung von La disparition die Fremdheit der Ausdrucksweise.