Lehrstuhl für Komparatistik
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Textuelle Produktion und Kontrolle in geteilten Nationen

Eine Forschungskooperation zwischen der Seoul National University und der Ludwig-Maximilians-Universität München

Workshop an der Ludwig-Maximilians-Universität am 25. Januar 2008

Die (gegenwärtige bzw. überwundene) Teilung Koreas und Deutschlands bietet eine Vielzahl untereinander vernetzter intralingualer und interkultureller Themen, die beide Nationen eng miteinander verbinden, die im rahmen der Kooperation zwischen dem German Department der Seoul National University und dem Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität erforscht werden sollen. Gerade für komparatistische Fragestellungen ergeben sich aus vergleichbaren Strukturen, die teils Ähnliches in unterschiedlichem Gewand deutlicher verstehbar machen, teils durch Differenzen auf Alternativen und Möglichkeitsspielräume verwandter Phänomene hinweisen, besondere Chancen und Herausforderungen für die literaturwissenschaftliche Forschung.

Das Teilprojekt »Mechanismen textueller Produktion und Kontrolle in geteilten Nationen« stellt sich dieser komplexen und spannungsreichen Ausgangslage, um nach den verschiedenen Funktionen textueller Kontrolle in der besonderen Situation einer politisch geteilten Nation mit einheitlicher Sprache und Literaturgeschichte zu fragen. Über das naheliegende und zentrale Thema der Zensur im strengen und formellen Sinne eines adminstrativen und juristischen ›Herrschaftsinstruments‹ geht der hier zu behandelnde Bereich der Kontrolle und kontrollierten Produktion hinaus: Untersucht werden sollen ebensosehr ökonomische und soziale Mechanismen, die sich in der gleichen Weise auf die Verbreitung von Texten und auf die Struktur der verbreiteten Texte auswirken, sowie der weite Raum der zwischen diesen Extremen liegenden Phänomenen vom Jugendschutz bis zur Reaktion auf neue Medien.

Vorliegende Forschungen zur Zensur in der BRD und in der DDR haben bislang die Situation auf beiden Seiten der Teilung untersucht, die Zusammenhänge mit der Teilung selbst jedoch nur selten reflektiert. Wie wirkt sich das in gleicher Sprache vorhandene definierte politische Andere, wie die Präsenz gedruckter und über Rundfunk oder Internet verbreiteter Materialien in gleicher Sprache vom Jenseits der Teilung aus? Welche juristischen, aber auch wirtschaftlichen und distributionstechnischen Mechanismen regeln die Durchlässigkeit der Teilungsgrenze? Welche Symmetrien und Asymmetrien entstehen in der Rezeption gemeinsamer Literaturgeschichte, in der gegenseitigen Kritik und in der Beschreibung des je jenseitigen Umgangs mit Literatur, auch und gerade der jenseitigen Zensur?

Dabei soll ein Ansatz im Mittelpunkt stehen, der Zensur als Rezeption begreift: Zum einen ist jeder Akt, der die Produktion oder Verbreitung von Texten einschränkt, selbst auf Rezeption und auf eine wertende Theorie der Literatur gebaut: Texten werden Qualitäten zugeschrieben, durch die sie als dissident, obszön, minderwertig oder gefährlich klassifiziert werden können. In Rechtssprechung, Gesetzgebung und Verwaltungsakten dokumentiert die Zensur dabei ihr Vorgehen – oft widersprüchlich – wiederum in der Produktion von Texten. Darüber hinaus reagiert die weitere Textproduktion nicht nur auf stattfindende Zensur, sondern reflektiert sie in ihrer eigenen wirkungsästhetischen Struktur. Die entsprechenden Phänomene reichen von der schwierigen Doppelbödigkeit in zensurbewussten Texten, d.h. im Zensurstil als Vermeidungsstrategie wie als ›äsopischen Sklavenstil‹, bis hin zur positiven Einschreibung einer spezifischen Zielgruppenorientierung.

Das Gebiet »Mechanismen textueller Produktion und Kontrolle in geteilten Nationen« ist vertreten durch Prof. Dr. Yun-Young Choi, Prof. Dr. Young-Ae Chon, Prof. Dr. Hong-Bae Lim und Prof. Dr. Ihmku Kim auf koreanischer, sowie durch PD Dr. Sebastian Donat und Dr. Stephan Packard auf deutscher Seite.

Hauptseminar „Textuelle Produktion und Kontrolle in geteilten Nationen“ von
PD Dr. Sebastian Donat, Dr. Stephan Packard und Prof. Young-Ae Chon im Sommersemester 2008